Lachen&Weinen

Unser Kind ist tot-lass es uns nicht totschweigen müssen

Ich stand in der Gärtnerei, machte einen Trauerkranz für ein verstorbenes Kind und dachte: «Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Sein eigenes Kind überleben. Sein eigenes Kind zu beerdigen.» Allein der Gedanke daran, eins meiner Kinder zu verlieren, nahm mir den Atem.

Weisst du, wie schlimm es wirklich ist? Ich weiss es seit mehr als 20 Jahren. Und jetzt weiss ich, dass ich damals nicht die leiseste Ahnung hatte, dass dieses «nahm mir den Atem» nichts war im Vergleich zu dem, wie es sich wirklich anfühlt …

Dieser Schicksalsschlag hat uns verändert, von der Sekunde an, in der das Herz unseres Buben aufgehört hat zu schlagen, von der Sekunde an, in der ein Teil von uns mit unserem Fabien gestorben ist. «Wir verändern uns nie wieder zurück.» Wie sollte das auch gehen? Unser Junge kommt nie wieder zurück zu uns.

Es gibt Menschen, leider, die denken, dass es irgendwann wieder gut sein müsste. Ich frage mich: «Glauben die das wirklich?» Christine glaubst du das auch? Ich denke nicht.

Du bekommst Sachen zu hören, auf die du im ersten Moment keine Antwort findest, weil du nicht glauben kannst, was du da gehört hast. Weil du auf solche Bemerkungen nicht vorbereitet bist. «Das wird schon wieder.» Wieder wie was? Wieder wie vorher? Es wird nie wieder, wie es war. Wie kann es auch? Unser Fabien fehlt uns, und er kommt nie wieder zu uns zurück. Wir hören immer, «das Leben geht weiter.» Ja, es geht weiter, liebe Christine, aber wie? Und, dass es weiter geht, ist für uns unbegreiflich. Das Wichtigste in unserem Leben wurde uns genommen, und das Leben geht einfach so weiter, als wäre nichts passiert. Für alle anderen geht es normal weiter, für uns nicht. Es ändert alles. Wirklich alles.

«Ihr habt zum Glück noch die anderen Kinder.» Solches Zeug hören wir von allen Seiten. Wenn ich das höre, ist die Versuchung gross zu fragen: «Welches eurer Kinder würdet ihr denn hergeben?» Ja, wir haben die anderen Kinder. Und wir lieben alle unsere Kinder. Das macht es kein bisschen leichter. Denn keines von unseren anderen Kindern kann unseren verstorbenen Buben ersetzen. Das wollen wir auch nicht.

«Trauert ihr immer noch?» Ist auch so eine doofe Frage. «Ja, unser Bub ist immer noch tot.» Weisst du, meine Liebe, die Trauer ist nicht mehr im Mittelpunkt. Und das ist gut so. Die Sätze wie: «Euer Fabien möchte nicht, dass ihr traurig seid», oder «euer Fabien möchte, dass ihr glücklich und fröhlich seid», und so weiter. Das alles sind Sätze, die gehen überhaupt nicht. Niemand kann wissen, was unser Fabien möchte.

… «ihr müsst endlich loslassen» … Wir haben bereits losgelassen. Wir haben die Hand unseres Buben losgelassen, bevor sich der Sarg für immer schloss. Mehr loslassen geht nicht. Zu hören, «es ist schwer, mit euch umzugehen, seit euer Kind gestorben ist …» Wir fragen uns: «Was glauben die denn, wie schwer es für uns ist, plötzlich ohne unser Kind zu leben?»

«Euer Fabien hat es gut, ihm ist vielleicht viel erspart geblieben, und er ist an einem besseren Ort.» Denken die wirklich, es gibt einen besseren Ort als die Familie? «Die Zeit heilt alle Wunden.» Für mich ein Satz, von jemandem der noch nie wirklich einen Schicksalsschlag erlebt hat. Nein. Stimmt nicht. Mit der Zeit lernst du, mit dieser Wunde zu leben. Irgendwie.

Ohne, dass du danach fragst, bekommst du Ratschläge und Tipps, «wie du trauern sollst, wie es am besten ist» oder «wie sie es machen würden, wenn sie ihr Kind verloren hätten». Das bekommst du auch von kinderlosen Menschen zu hören oder von jenen, die kein Kind verloren haben. Die also gar nicht wissen, wovon sie reden. Wenn du Freunde, Bekannte hast, die ein Kind verloren haben, dann sei geduldig, verständnisvoll …

Der Tod ihres Kindes hat sie verändert, für immer. Denn nichts mehr wird so sein, wie es war. Auch für deine Freunde nicht, liebe Christine. Vielleicht sind sie schwieriger, komplizierter geworden. Denk daran: «Sie haben ihr Kind verloren.» Sie hätten auch lieber ihr altes Leben und vor allem ihr Kind zurück. Sie haben sich ihr «neues Leben» nicht ausgesucht. Nimm sie so, wie sie sind, denn anders gibt es sie nicht mehr. Hilf ihnen, einen Weg zurück zu finden, einen Weg zu finden ohne ihr Kind an ihrer Seite. Sagst du einmal was «Falsches», dann sei nicht beleidigt, gekränkt, wenn sie es dir sagen. Sie müssen doch sagen dürfen, was ihnen weh tut, damit sie nicht immer wieder verletzt werden. Sie müssen das doch sagen dürfen, ohne dass ihnen die Freundschaft gekündigt wird, weil sie zu schwierig geworden sind. Nimm dir Zeit, sei für sie da, und lass sie von ihren Kinder erzählen.

«Unsere Kinder sind tot – lasst sie uns nicht auch noch totschweigen müssen.»

 

 

 

 

 

 

 

2 Kommentare
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2 Kommentare

  • Bettina

    Danke für diese wahren und bewegenden Worte, die von Herz zu Herz schwingen.
    Alles Liebe❤ Bettina

  • Sandra

    Wie wahr deine Worte genau so ist. Danke dafür 🙏
    Es wird nie mehr wie vorher sein , nie mehr….! 😢. Doch müssen wir weiter machen in diesem nicht selbst ausgesuchtem neuen Leben.

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