Gibst du mir recht, sage ich, der Tod und das Leben sind Geschwister? «Es geht nicht um entweder-oder, sondern um sowohl-als-auch.» Der Tod gehört zu uns Menschen, und doch fällt es allen schwer, darüber zu reden.
Sterben, Tod und Trauer ist heute bei vielen das Tabuthema Nummer eins. Warum eigentlich? Ist die Zeit gekommen, steht jede, jeder an der Schwelle vom Leben zum Tod.
In letzter Zeit, ist mir vermehrt aufgefallen, keiner will daran denken, dass einer von seinen Lieben sterben könnte. Sie verdrängen den Gedanken, es könnte sie treffen. Triffts einer ihrer Lieben, wäre die Katastrophe perfekt. Gehörst du zu denen? Ich weiss es nicht. Wir haben uns nie präzis unterhalten. Über deinen sowie meinen Tod. Lieber Christian, das holen wir nach. Unbedingt.
Weisst du, an den eigenen Tod zu denken, vermögen die wenigsten. Ja nicht darüber sprechen und lieber verdrängen. Ist einfacher. Bequemer. Führt das nicht dazu, dass wir uns schwer tun, mit Verlusterfahrung umzugehen?
Ich spüre oft, dass in unserer Gesellschaft die Trauernden (noch) zu wenig Unterstützung erhalten. Sie stehen allein und unter dem Druck da, ihre Trauer schnell zu überwinden. Das Ziel ist ja, sobald als möglich wieder zu funktionieren. Im Alltagstrott zu stehen sowie vor der Trauer. Glaub mir, mon ami. Hast du das nicht selber erlebt, weisst du nicht, wie schwer – ja fast unmöglich – es ist, die Erwartungen der Mitmenschen zu erfüllen.
Ich steh am Grab meiner Mutter. Vielmehr an der Stelle, wo ich denke, da sei ihre Urne verbuddelt. Kein Kreuz, kein Name, keine Blumen, kein gar nix. Ist halt ein Gemeinschaftsgrab. Anonym. Weisst du, mir gefällt dieser Platz ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Mir drückt dieser wüste Ort auf mein Gemüt. Erlösend, traumhaft und befreiend finde ich die Weite des Himmels. Und die Vögel, die um die Wette fliegen. Tja, das bekommen alle zu sehen, die auf diesem Gottesacker liegen.
Der Tod ist präsent. Immer. Geht mir durch den Kopf. Nur, wer will ihn wahrhaben? In der heutigen Zeit ist Mann/Frau fit, aktiv, gesund und ewig jung. Unser Leben ist bunt und fröhlich. Nicht richtig zu funktionieren geht gar nicht. Stimmt, gäll?
Sag Christian, bin ich naiv, als ich dachte: «Geschafft. Die schwerste Zeit ist vorbei. Wochen sind vergangen seit meine Mutter gestorben ist. Die schweren, traurigen, Kräfte brauchenden und stressigen Monate vor ihrem Tod gehören der Vergangenheit an. Jetzt wird es einfacher.» Nun, es ist schwerer geworden.
Ständig werde ich gefragt: Wie geht es dir? Und ich weiss genau, sie erwarten ein: «Mir gehts gut.» Und bestimmt kein: «Mir gehts schlecht.» Die wenigsten wollen hören, dass du nach drei Monaten noch in Trauer bist. Da triffst du auf Unverständnis. Besonders, weil es ein älterer Mensch ist, um den du trauerst. Ist es dir gleich wie mir ergangen, als dein Vater letztes Jahr gestorben ist? Oje, ich hab dich nie danach gefragt. Das tut mir leid.
Ist es nicht so: In der Regel wird die Trauer gut bewältigt. Mit oder ohne Trauerbegleitung sei dahingestellt. Voraussetzung ist, du wirst nicht mit gutgemeinten Ratschlägen überhäuft und bekommst keine Kritik zu hören. Beides brauchst du in dieser Zeit nicht. Die Trauer ist individuell. Jeder trauert auf seine Weise, auf seine Art. Alles ist richtig, und nichts ist falsch. Deswegen sind Ratschläge nicht förderlich.
Ich weiss aus Erfahrung: Erinnern sich Freunde und Bekannte an den Verstorbenen zurück, nach Jahren, tut das den Angehörigen gut. Es ist wichtig, dass du ihnen zeigst, dass ihre Lieben nicht vergessen sind. Egal wie viel Zeit vergangen ist, rede mit ihnen über ihre Stillgewordenen, das ist für sie eines der schönsten Geschenke. Sie werden es dir danken. Da bin ich sicher.
Heute schicke ich die Grüsse in den Himmel.
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