«Nach dem Tee ist für die Seele Sommer.» Ein russisches Sprichwort. Und wie wahr. Eine heisse Tasse Tee bringt ein Gefühl von Geborgenheit. Sie wärmt Körper und Seele. Besonders, wenns draussen nass ist, kalt und stürmisch.
Ma Belle, du hast bestimmt schon ein altes Haus betreten und aus unerklärlichen Gründen eine Gänsehaut bekommen. Es gibt Orte, die kommen mir unheimlich vor, unbehaglich. Frag mich nicht, wieso, ich kanns dir nicht erklären. Ich fühle, in den Räumen ist jemand. Und ich weiss haargenau, da ist keiner. Ich bin allein. Weisst du, meine Liebe, ich denke schampar oft an verstorbene Familienmitglieder, an stillgewordene Freunde und Bekannte. Und die erscheinen vor meinem geistigen Auge. Boah. Ab und an ist das es bitzeli gfürchig, sag ich dir.
Ja. Mir ist klar. Ich bin nicht verrückt. Ich bin in der Lage, Seelen wahrzunehmen. Kennst du das? Hmm. Ich behaupte, Verstorbene sind überall, auch unter uns – den Lebenden. Ich bin der Meinung, Diesseits und Jenseits sind nicht getrennt durch einen imaginären Vorhang. Im Gegenteil. Beide Welten sind miteinander verflochten.
Du. Ich. Wir beide leben die Tradition und waggeln über den Friedhof zu den Gräbern. Da und dort zünden wir ein Lichtlein an. Legen Blümchen aufs Grab. Gedenken so unserer Verstorbenen. Unserer Liebsten. Wir sprechen in Gedanken mit den Seelen, beten für sie. Hab ich recht? Wir wandern, nach alter Tradition, über den Friedhof. Eine schöne Geste, denke ich. Wir zeigen, unsere Verstorbenen sind nicht vergessen.
Meine Schöne, ich überlege mir: Was ist, sind die Seelen nicht in der Nähe ihrer Gräber? Für (fast) alle ist es selbstverständlich. Wer stirbt, wird beerdigt. Seine letzte Wohnung ist eine Gedenkstelle. Ein Grab. Oder eine Urne, die weiss Gott wo steht.
Du kennst mich gut. Sehr gut. Und weisst, ich glaube an Wiedergeburt und Karma. Bist du stillgeworden, verlassen Seele und Geist den Körper. Auf der anderen Seite angekommen, erkennst du den Sinn. Den Sinn deines Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen. Du bekommst aufgezeigt, wie wichtig du zu Lebzeiten für viele Menschen warst. Du erkennst, was du alles Gute für dein Umfeld getan hast. Siehst ebenso, was du verpasst hast. Was zu erledigen gewesen wäre. Du planst im Jenseits zusammen mit der geistigen Welt dein nächstes Erdenleben.
Gehts nach dem Tod weiter? Was denkst du? Ich glaub fest daran. Irgendwie glaub ich an Reinkarnation und daran, dass es weitergeht, wenn ich tot bin. Dass unser Bewusstsein niemals stirbt. Uii, ma Belle, stell dir vor, du bist tot und merkst es nicht. Wer nicht an ein Leben nach dem Tode glaubt, könnte eine Überraschung erleben. Gut möglich, dass es unmittelbar nach dem eigenen Tod eine Verwunderung gibt. «Ups. Ich bin noch da.» Sowas könnte jemandem passieren, der nicht ans Leben nach dem Tod glaubt … Geist und Seele sterben. So der Buddhismus.
Glaubst du, liebe Christine, es gäbe auf der anderen Seite eine «ewige Ruhe»? Ich nicht. Ich denke, in der geistigen Welt gibts viel zu entdecken. Die Seele lernt und erlebt dort einiges. Bevor sie wieder auf der Erde inkarniert. Naja. Unser Körper wird, kaum ist er abgelegt, unbrauchbar. Für die Seele sinnlos, in der Nähe ihrer Überreste zu bleiben.
Ab und an denke ich: Wo geht die Seele hin? Ist sie im Himmel oben, oben über dem Grab? Nicht gleich ins Licht ziehts die Seelen, die (noch) nicht in Frieden sind. Die zuerst was erledigen müssen. Unbedingt noch was klarstellen wollen. Ich glaube, es gibt Seelen, die wollen in der Nähe der Lebenden sein. Sie bleiben in der Zwischenwelt. Irgendein Ort, wo sie zu Lebzeiten gern waren. Am See. Im Wald. In ihrem geliebten Garten.
Ich wage zu sagen: Eine Seele kann gradsogut umherirren. Wissen die Seelen nicht, was passiert ist. Was für die Hinterbliebenen ein Schock ist, kann gradsogut ein Schock für die Seele sein. Ma Belle, ich find es beruhigend zu wissen: Mein Körper stirbt. Irgendwann. Seele und Geist leben ewig. Geändert wird die Daseinform. Lernen. Weiterentwickeln. Erfahren. All das geht weiter.
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