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Tratschen

Frieda

Läck MaBelle. Letzthin habe ich einen Text gefunden. Er entstand vor einigen Jahren. Ich habe ihn überarbeitet. Magst lesen meine Liebe?

«Wie geht es Frieda, so allein in dem Bauernhaus? Ohne ihren Hans? Ist sicher schwer. Deine Eltern waren fast ein ganzes Leben lang unzertrennlich, gäll?» Ich gucke Martin an. Wir kennen uns über 30 Jahren. Wir haben uns aus den Augen verloren und FB sei Dank wieder gefunden. Seine Eltern habe ich zwei, drei Mal gesehen, dass ist Jahrzehnte her. Zurzeit haust Frieda im Altersheim und erholt sich. «Was glaubst du, hätte sie Freude, über unseren Besuch? Wollen wir sie besuchen gehen?»

Kaum aus dem Auto fängt es wieder an zu Schneien. Und wie. Ich guck um mich. Hei, das ist ein schöner Ort. Und der Name: Rosengarten passt wunderbar zu diesem rosa Haus. Wer ins Haus kommt, dem fällt als erstes der Spruch «Wenn im Haus die Liebe wohnt, nennt man die Bewohner Engel und das Haus ein Paradies» auf. Mir gefällt was ich da lese. Später wird mir klar, er passt hier hin.

Wir suchen Frieda, die Mutter von Martin und werden fündig im Gemeinschaftsraum. Es überrascht mich. Hier sieht es aus, wie in einem Wohnzimmer. Tisch & Stühle. Sofa, bequemer Sessel. Blumen & Pflanzen. Zeitschriften gibt’s und von der Wand kommt ein Tick, Tack, Tick, Tack. Heimelig, und wie. Gucks du aus dem Fenster siehst du verschneite Wiese. Mir gefällts. So lässt es sich im Alter gut leben.

Frieda sieht Martin. Ihr Kind Nummer fünf. Sie hat sieben. Vier Jungs und drei Mädels. Frieda strahlt und begrüsst uns beide herzlich. Mein Gott ist diese Frau sympathisch. Das wusste ich nicht mehr. Ihre Fröhlichkeit steckt an. Die nächsten zwei Stunden werden unvergesslich für mich.

Ende Monat kann Frieda 84 Kerzli auf ihrem Geburtstagskuchen auspusten. «Finden soviele Platz auf einem Kuchen?» Überlege ich mir. «Du bist erst alt, wenn die Kerzen mehr kosten als der Geburtstagskuchen» Geht mir durch den Kopf.

Ihr Hans starb letztes Jahr. Am 28. August. 2017. 10 Tage nach seinem 90 Geburtstag ist er eingeschlafen, stillgeworden.
Eine Katastrophe für Frieda. Für Martins Vater ein schöner Tod.
58 Jahre sind sie verheiratet gewesen. Sind zusammen in Wigetshof, einem kleinen Weiler bei Oberhelfenschwil aufgewachsen. Bauernkinder waren sie. Beide. Und Nachbarskinder. Haben zusammen auf der Weide Kühe gehütet.

«Eine schöne Jugend hatte ich.» höre ich Frieda sagen und ihre Augen strahlen dabei.

Nur ein Velo hatte ich nie. Meine Brüder bekamen ein Fahrrad wir Mädchen nicht. Wir mussten laufen.
«Hättest du gern eins gehabt, Frieda?» «Ja und wie. Später bin ich bei Hans auf dem Gepäckträger mitgefahren. Das hat mir gefallen. Das war schön.» Verschmitzt lächelt Frieda.

«Mit 25 Jahren bin ich von daheim weggelaufen und habe meinen Hans geheiratet.»
Das möchte ich genauer wissen. Das interessiert mich. «Was ist passiert?»

Es war genug. Zuviel. Ich musste nach der Schule Geldverdienen. Durfte keinen Beruf lehren. Ich ging in die Kägi arbeiten. Der Weg von drei Kilometer ging ich zu Fuss. Hatte ja kein Velo.
Mein Lohn musste ich abgeben. War Zahltag wartete meine Mutter an der Haustüre und nahm das Geldsäckli direkt entgegen. Ich hatte nichts. Mit 18 durfte ich meinen Lohn behalten.

Unvorstellbar. Für mich. Und sicher auch für Martin, der still neben mir sitzt und gespannt zuhört. Obwohl ich mir vorstellen kann, er hört die Geschichte kaum zum ersten Mal.

Frieda erzählt weiter. Ich schau in ihre Augen. Und bin überrascht. Da sitzt keine traurige ältere Frau, im Gegenteil. Ich sehe eine zufriedene, glückliche Frieda.
Sie sei knapp 19 gewesen, als ihre Mutter krank wurde. Von da an durfte sie nicht mehr in die Kägi. Sie musste daheim den Haushalt machen. Frieda war die Magd im eigenen Elternhaus. Lohn bekam sie keinen von ihren Eltern. Das berührt mich zutiefst. Es macht mich traurig.

«Der Glaube ist wichtig.» Sagt Frieda zu uns beiden. «Ich war protestantisch und Hans katholisch. Das gab Probleme.»

Logisch gabs die. Zu dieser Zeit. Denke ich und frag sie «Wie habt ihr das gelöst?»

«Ich habe konvertiert. Noch vor der Hochzeit.»

«Du hast gewechselt?» ich bin erstaunt. Ihr: Ja klar. Kam, als sei es normal den Glauben zu wechseln. In dieser Zeit. In den 50er.

«Weisst du, es fehlte an einer Gemeinschaft der ref. Kirche. Der Pfarrer hat mir angeboten, mich als seine Haushälterin aufzunehmen. Das wollte ich nicht.»

Ich bin schockiert. Sie war keine 20 und er machte ihr ein unsittliches Angebot.

«Du und Hans, wo habt ihr geheiratet?»

«In Einsiedeln. In der Klosterkirche. Zu viert. Das schönste war, genau als wir uns das Versprechen gaben, fiel ein Sonnenschein durch das farbige Fenster, direkt auf den Altar vor uns.»

Sie konnten einen eigenen Hof erwerben. In Wigetshof. Mit zehn Kühen im Stall. Das Heu wurde mit dem Stier transportiert. Einen Ladewagen hatten sie nicht, dazu fehlte das Geld. Der kam viel später dazu. Die Wäsche wurde im freien, in Zuber gewaschen, ausser im Winter, da war es viel zu kalt. Mit dem Winter kam die Kälte. Die Wasserleitungen froren ein und mussten zuerst aufgetaut werden.

«Ich ging in den Kirchenchor. 30 Jahre lang. Und mein Hans in die Musik. Weisst du er liebte sein Horn. Und Jassen. Mittwoch ins Restaurant Högg und Samstag trafen sie sich bei einem Jassfreund daheim. Bis zum Schluss.» Frieda lächelt und erzählt mir «Der Hans jasste im Spital noch. Mit den Krankenschwestern.»

«Hans hat vor seinem Tod alles aufgeschrieben. Er machte sich Gedanke, wer sein Kreuz zum Grab tragen soll.»
«Und wer bekam die Ehre?» Will ich wissen.
«Markus, eins seiner Enkelkinder.»
Ihre Kinder: Hans, Arnold, Bruno, Verena, Martin, Susanna und Regula schenkten ihr und Hans 23 Enkelkinder. Und fünffache Urgrossmutter ist Frieda. Das jüngste, vier Wochen alt, kam am Valentinstag zur Welt, das hat sie noch nie gesehen. Sie freue sich, auf ihr Heim. Sie sei schon länger hier.

Zwei Wochen bevor ihr lieber Hans für immer stillgeworden ist, verlor sie ihren Bruder Walter.
Sie dachte immer. Ist Hans nicht mehr bei mir. Da habe ich Walter. Nun ist ihr Bruder Walter vorrausgegangen.
«Und deine anderen Geschwister?»

«Emmi ist die älteste, sie ist etwas dement, sonst geht es ihr gut. Hans, mein Bruder, ist vor zehn Jahren gestorben. Er ging an einen Match von SCB und bekam während dem Spiel einen Schwächeanfall. Ist später im Spital verstorben. Das stand in den Zeitungen, hast du das gelesen?»
Ja genau. Ich erinnere mich. Wusste natürlich nicht, dass es der Onkel von Martin war. « Albert, mein jüngerer Bruder ist Tod. Gottlieb ist schon lange gestorben. Köbi, der jüngste von uns allen, ihm geht es gut.

Einen Monat nach dem Hans gestorben ist, wurde alles Zuviel. Sie hatte einen Zusammenbruch. War drei Wochen im Spital und kam direkt hier hin. Um sich zu erholen. Nun möchte sie nach Hause. In ihr Bauernhaus, wo sie wieder «Böscheli» für den nächsten Winter machen kann. «Weisst du, anfeuern muss ich selber. Es gibt nur eine Holzheizung.»

«Hast du keine Angst, allein in dem grossen Haus?» Will ich wissen.

«Nein. Es ist mein Zuhause. Ich hatte eine schöne Zeit mit meinem Hans. Ich habe auch keine Angst vor dem Sterben. Vor dem Tod. Hans hat sich lange gegen den Tod gewehrt. Ich mache das nicht.»

«Ich freue mich in ein, zwei Wochen gehe ich Heim, es ist Frühling, und es fängt an zu blühen im Garten.»

MaBell, meine Schöne, ich habe Martin eine Nachricht geschrieben. «Hey mein Lieber, ich brauche aktuelle Infos über Frieda und deine Famile. 1. Wie geht es ihr, wo lebt sie heute? 2. Weitere Urenkel dazu gekommen? 3. Gabs ne Beerdigung? Bis bald, Christine»

Tja, auf Martin ist Verlass. Er antwortet prompt: «Hoi liebe Christine, knudel. 😊 Muetter wohnt bei Hans oben. Noch. Wir suchen einen schönen Platz im Altersheim. Rosengarten oder Dorfzenter. Eins von beiden. Vergesslich und dement ist sie geworden. Sonst noch gut beieinander. Jeden Sonntag zu Besuch bei eins ihrer Kinder. 5 Urenkel dazu gekommen. Über Schwester Emmi weiss ich nix. Bruder Köbi ist zu Hause, muss einmal in der Woche ins Spital. Also dann hoffe ich bis bald.»

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