Lachen&Weinen

MaBelle, mein Mami ist tot. Ich bin froh – und traurig

Darf ich wirklich nicht schlecht über meine Mutter reden? Über die Mutter, die in der Nacht des 5. Januars um 1.15 Uhr verstorben ist. Über die Mutter, die schwerkrank war? Darf ich wirklich keine kritischen Worte verlieren?

MaBelle, ich tus, verliere kritische Worte und welch’ Überraschung, ich ecke an. Und zwar bei (fast) allen. Warum? Was ist mit all den nicht so goldenen Seiten eines Menschen? Sterben die mit? Ich denke ein Verstorbener, eine Stillgewordene darf menschlich bleiben. Mit Ecken, Kanten und Fehlern. Und ich darf darüber reden, ohne respektlos zu wirken.

MaBelle, du weisst, meiner Mutter ging es in den vergangenen Wochen schlecht. Sehr schlecht. Weisst du, ich mache mir ständig Gedanken. Darf ich das sagen? Oder muss ich aufpassen, damit ich ja nichts Falsches sage? So einer Frau, die todkrank war und nun von uns gegangen ist, will keiner respektlos gegenüberstehen. Denke ich.

Ist es nicht so, meine Liebe, dass sich viele von uns nach dem Tod eines lieben Menschen ab und an erinnern an die nicht so schönen Seiten? Du kannst das liebevoll tun. Dich erinnern.

Darüber reden wir eigentlich zu wenig. Warum? Darf ich das nicht? Ich werde schräg angeguckt und bekomme zuhören: «Das ist nicht schön von dir. Das macht man nicht. Du musst die Toten in Ehren halten.»

Meine verstorbene Mutter würde ja so zu einer «Heiligen» gemacht, oder? Und das war sie ganz und gar nicht. Bei uns war nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Im Gegenteil, es konnte sehr gut anders zu und her gehen. Du verstehst, was ich meine, gäll? Bei dir ist, bei dir war es sicher nicht viel anders?

Für viele ist der Tod etwas Unangenehmes. Was wiederum stimmt. Da muss ich jetzt nicht noch mehr Unangenehmes hervorholen. Die Meinung der anderen. Trotz dem Schmerz, dass meine Mutter nicht lebt, kommen mir die Gedanken, dass bei uns nicht immer alles rosarot war. Du weisst genau: Die Fetzen flogen auch bei uns. Ab und an. Es passt halt nicht zusammen, jemanden zu vermissen, der Fehler hatte. Denn, wenn sie Fehler hatte, könnte man ja froh sein, diese Last los zu sein.

Wir haben alle unsere Fehler. Du. Ich. Mein Vater. Meine Mutter. Und genau diese Unperfektheit macht meine Mutter liebenswert. Auf keinen Fall, tue ich dieses «das gehört sich nicht» glattbügeln. Mach ich nicht. Was bin ich dankbar, dass ich dich habe. Ich schreibe dir alles und weiss genau: Die liebe Christine versteht mich.

Keineswegs will ich meine Mutter schlecht machen. Blossstellen. Ich will sagen können, was mir wichtig ist. Nicht nur über die schönen Zeiten plaudern. Im Gegenteil, die nicht guten Zeiten gehören genauso dazu. Aber eben …

Die Trauer hat auch ihre ganz, ganz dunklen Seiten.

Da kann schon mal Wut aufkommen. Wut auf die Stillgewordene, auf meine Mutter. Und ich konnte es ihr nicht mehr sagen. Sie nahm es nicht mehr wahr. Wobei ich sicher nicht die einzige Trauernde wäre, die eine Wut mit sich schleppt, weil sie es verpasst hat, zu Lebzeiten all das anzusprechen, was wichtig gewesen wäre. Ich denke, es ist okay, der Sterbenden Enttäuschungen, Wut und Trauer zuzumuten. Die Erinnerung wird dadurch schön sein.

Mein Leben geht weiter ohne meine Mutter. Es wird ein Kampf, den ich gewinne. Ein Kampf, den ich ab und zu auch verlieren werde. Es geht mir gut. Und doch fehlt sie mir. Meine Liebe, jetzt fragst du dich: Ist sie gestorben? Ja. Als ich diesen Brief entwarf, lebte sie. Noch.

Wobei, ein Leben war das nicht mehr. Abgemagert bis auf die Knochen. Ständig Schmerzen. Immer. Ausser wenn sie schlief. Ach du. Mami musste leiden. Schrecklich leiden. Sie war nicht mehr wirklich bei mir, bei uns.

Ich vermisse sie. Wie gern würde ich ihr erzählen, was mir alles passiert ist. Würde ihr meine MaBell-Briefe zu lesen geben. Ihre Meinung dazu hören wollen. Mit ihr diskutieren. Geht nicht. Geht nie mehr.

Und das ist das Schlimmste. Dich, Mami, kann ich nie mehr umarmen, und ich werde nie mehr von dir umarmt werden.

Ich bin wie du, liebe Christine. Du sprichst sicher mit deinem  kürzlich verstorbenen Däddy. Weisst du, ich spreche mit ihr, wenn mir danach ist. In meinem Herzen. In meinem Kopf. Ich frag mich: Spürst sie das? Hört sie mich? Ich glaube es. Richtig sicher bin ich mir aber nicht. Ich wünsche meinem Mami, dass es ihr gut geht, wo immer sie in Zukunft sein wird. Dass sie mich spüren lässt: «Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen.»

Der Tod ist nichts anderes als die Grenze unseres Sehens. Wenn wir um einen Menschen trauern, freuen sich andere, die ihn hinter dieser Grenze wiedersehen.

Du weisst, wen ich meine. Gäll?

Herbst 2017: Madeleine und Christine. Mutter und Tochter. Fröhlich rauchend.

 

 

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1 Kommentar

  • Andrea

    Liebe Christine
    Ich finde:
    Ja, du darfst ehrlich sein – kritische Worte aussprechen -deiner Mutter gedenken, wie sie war und geliebt, gemocht oder halt auch manchmal nicht so gern gemocht wurde.
    Du darfst die schlechten Momente an- und auch aussprechen. Die Zeiten so benennen, wie sie halt manchmal wirklich waren: hart, schmerzlich, nervenaufreibend.
    Du darfst dich an all diese Begebenheiten erinnern, die ein Leben so mit sich bringen: Freude, Kummer, Glück und Leid.
    Du darfst all das tun, solange du auch an die positiven Momente denkst, die gemeinsamen Zeiten, die so wertvoll waren und doch unbewusst vorbeiglitten.
    Denn ich bin mir sicher, das würde auch dein Mami sagen:-)
    Liebe Grüsse
    Andrea

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