Kategorie

Lachen&Weinen

Lachen&Weinen

Vom Lieben und Loslassen

Schon wieder ein Jahr vorbei. Wir werden älter Mam. 27 Jahre sind vergangen. Am Freitag, 14. Juli 1995 habe ich mich nach der Geburt lautstark bemerkbar gemacht. 62 Tage später, am Donnerstag, 14. September 1995, wurde ich still. Verliess diese Welt leise. Im Bett von Madlen bin ich einfach nicht mehr aufgewacht. Während du mit Noëlle und Felice im Zürcher Kispi weiltest, habe ich euch verlassen. S Mutti sass  vielleicht rauchend auf dem Balkon und der Dädi war wohl unterwegs. Dunkel wars im Schlafzimmer. Ich kuschelte mich in Kissen und Decke – dann starb ich so, wie ihr es euch alle wünscht: Ich ging im Schlaf. 

Ja, ich starb schlafend. Für mich stimmte das. Für euch Zurückbleibende wars eine Katastrophe. Ein Schicksalsschlag, wie er schlimmer nicht sein kann – was übrigens nicht stimmt. Tragische Ereignisse lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Man kann sie nicht vergleichen.

Warum das so ist, willst du wissen. Weil jeder und jede von euch anders loslassen kann. Das schmerzende Mutterherz lässt anders los als das pragmatisch pochende Vaterherz. Treten Alte ihre letzte Reise an, ist es leichter, sie loszulassen, als wenn Kinder, wenn Babys sterben. Schwer Kranke lässt ihr noch so gerne los. Sie sollen von ihrem Leiden erlöst werden. Verlieren drei kleine Kinder ihre Mutter, der Ehemann seine geliebte Gattin, dann fragt ihr euch, wo denn  da der Herrgott gewesen sei. Mir ist klar: Loslassen ist in diesem Fall schwer. Und die Diskussion über den Herrgott lassen wir sein. Nur so viel: Ich habe ihn noch nicht gesehen – obwohl schon 27 Jahre im Himmel.

Zurück zum Loslassen. Das kann schwer sein, weil Liebe im Spiel ist. Die Mutter liebt ihr Kind, ihren Mann. Ihr liebt eure Eltern, Freunde, Freundinnen, euere Partnerin, euren Partner. Und wer aufrichtig liebt, hat nicht vor, loszulassen. Wohlwissend: Liebe ist ebenso endlich wie das Leben. Sicher könnt ihr einiges dafür tun, damit sie lange hält. Könnt für den Erhalt der Liebe kämpfen, könnt euch zerreissen.

Aber. Kaum erblickt ein Lebewesen die Welt, ist klar: Sein Leben endet mit dem Tod. War Liebe da, wird sie plötzlich einseitig. Kann nicht mehr erwidert werden, kühlt ab. Ihr alle wisst es.

Was tun? Einfach über das Leben reden – und über sein Ende.

Vielleicht wird einem dann klar: Es ist jetzt an der Zeit, jeden Tag zu geniessen. Und jeden Abschied bewusst zu erleben. Zu gestalten. Denn, wer weiss, es könnte der letzte Abschied gewesen sein.

Liebe Mam. Ich bin bei dir und bei deinem Kerl – wie du meinen Vater, deinen Mann liebevoll nennst. Ich bin bei meinen Schwestern, die alle ausgezogen sind. Bei meinem Bruder, der an der Bahnhofstrasse in Walenstadt noch die Stellung hält. Ich bin dir nah, weil ein schönes Erinnerungsstück in einem lauschigen Garten steht. Das kleine Vögelchen sitzt auf den Überresten meines Grabsteins. Wenn du innehältst, an mich denkst, wird dich eine süsse Melodie an unsere gemeinsame Zeit erinnern.

Umärmel

Signatur_Fabien_1

 

 

Keine Kommentare
Lachen&Weinen

Sterben lernen heisst, Leben lernen

Gut sterben können, heisst ein Leben lang lernen und sich bewusst werden, unser Leben ist endlich. Geniessen wir es. Denn jederzeit kann es enden und dann ist  gut, haben wir das Loslassen gelernt

Liebe Mam,

Sterben lernen? Ja, da könnten wir uns schon fragen, was heisst denn das? Ich bin nach 63 Tagen gestorben. Niemand hat damit gerechnet. Es gab keine Anzeichen, niemand hätte den plötzlichen Kindstod verhindern können. Weder Madlen, meine Babysitterin, die ich später Mutti genannt hätte. Nicht mal du hättest was ausrichten können. Ihr habt zusammen noch gemütlich Kaffee getrunken. Madlen hat bestimmt eine geraucht. Gut so. Da war ich nämlich bereits weg. So wie es sein musste. Mir reichte die Zeit bei euch, ich nutzte sie, mich weiterzuentwickeln.

Was hat das nun zu tun mit Sterben lernen? Ich denke, Sterben lernen, heisst: sich bewusst sein, wie endlich das Leben ist. Jederzeit kann es enden. Und dies sollten wir nicht nur wissen, dies sollten wir leben. Konsequenz: Sterben können gleich Leben lernen.

Leben lernen. Das tönt logisch. Ein Neugeborenes atmet tief ein, kaum ist es auf der Welt, und dann schreit los. Später lernt es essen und trinken, lesen und schreiben, lieben und leiden. Küssen und kneifen. Das heisst, wir lernen automatisch leben.

Wie sollen wir dabei das Sterben lernen? Indem wir darüber reden. Konkret: Wir sollten über die Ängste reden, die der Gedanke ans Sterben verursachen kann. Oder über die Werte, die unser Leben bestimmen. Über unsere Wünsche. Und wichtig: Wir sollten das Leben geniessen. Jeder Tag kann der Letzte sein. Ich hab die 63 Tage bei euch genossen. Länger war nie eingeplant. Das wusstet ihr nicht. Ihr musstet loslassen. Ob ihr das wolltet oder nicht.

Ein schmerzhaftes Loslassen wars. Die Sinnfrage stand plötzlich zuvorderst? Warum Fabien? Warum unser Kind? Warum schon jetzt? Es gab Menschen, die haderten damals mit dem Herrgott. Verständlich, wer will denn schon ein Kind loslassen, kaum liegt es einem in den Armen. Oder einen geliebten Menschen, dessen statistische Lebenserwartung sich noch gar nicht erfüllt hat. Oder einen Geliebten, von dem man sich nicht verabschieden konnte. Egal. Loslassen ist loslassen, ist loslassen.

Als Madlen ging, konntest du sie loslassen. Konntest sie begleiten. Ihr konntet zusammen schweigen, lachen und schloten. Du Nichtraucherin. Und ihr habt geredet. Das verband euch, machte vieles klar. Ihr wart euch in jenen Herbst- und Wintertagen ganz nah, und euch war klar, wir werden getrennt. Am Freitagmorgen, 5. Januar 2018 starb sie. Ihr habt euch losgelassen.

Loslassen lernen. Du weisst es, und Ma Belle weiss es ebenso: Wir müssen ständig loslassen. Den leeren Einweg-Kaffeebecher etwa oder die gerauchte Zigi. Eine Rennmaus beispielsweise oder Freunde, Freundinnen, Verwandte, Bekannte.

Du, liebe Christine, lässt Menschen los, die du gepflegt hast oder begleitet. Du hast das gelernt. Im Palliative-Care-Kurs, bei Aus- und Weiterbildungen. Das Leben hat es dich gelehrt. Und wer weiss es besser als ich? Du hast gelitten, hadertest mit deinem, eurem Schicksal.

Gut hast du immer darüber geredet. Mit deinem Kerl, wie du jeweils schreibst, mit den Kindern, mit anderen Menschen. Etwa mit dem Journalisten, der dann unsere Geschichte erzählt hat. Du hast dich ausgetauscht mit Ärztinnen, mit weisen Leuten, mit Pfarrern und Klosterfrauen, mit Vertrauten. Konsequent sagst du, «wir haben fünf Kinder». Ich lach dann still. Denke: «Ja, ja, ich bin das fünfte Rad am Wagen».

Lustig, gell. Stell dir vor, du holperst mit dem WoMo irgendwo über einen Ostseestrand-Trampelpfad. Kilometer um Kilometer. Durch Wälder mit Kiefern und Eichen, Birken und Buchen. Du fährst über Dünen und durch die Heide. Es holpert und poltert. Du merkst nicht, wann und wo genau das fünfte Rad abgefallen ist. Euer WoMo fuhr weiter und weiter. Das fünfte Rad aber rollte irgendwohin, legte sich auf die rechte Seite und wurde nie wiedergefunden.

Mich, liebe Mam findest du in diesem Leben ebensowenig. In deinem Herzen hock ich und hier obgen auf Wolke 14995. Baumele mit den Beinen, schau runter und rufe. «Mam, cool, wie du die Lektionen des Lebens lernst. Ich hab dich lieb. Bhüet di.»

Signatur_Fabien_1

 

PS: sMutti sitzt auf Wolke 5118 und was macht sie? Wir wissen es beide. Madlen raucht.

 

Keine Kommentare
Lachen&Weinen

Meine Trauer. Meine Regeln.

Madlen war krank. Die letzten gemeinsamen Lebensmonate meiner Mutter hielt ich in einigen Texten fest. Ihre Krankheit wollte sie nicht wahrhaben. Nun, ihre Raucherbeine konnte Madlen nicht weglisme. Der Gang zum Arzt war nicht vorgesehen.

Weiterlesen

Keine Kommentare